Hüh und Hott- oder die Geister, die ich rief? Über Sinn und Unsinn von Bodenarbeit
Die Arbeit am Boden ist weit mehr als nur Beziehungspflege mit dem Pferd. Sie kann und sollte aktiv helfen, dem Pferd zu einem besseren Verständnis von Balance zu helfen.
Foto: M. Glahe
Die Arbeit am Boden ist seit vielen Jahrhunderten elementarer Teil der Pferdeausbildung und steht auch heute wieder bei vielen Pferdebesitzern hoch im Kurs. Das Problem bei der Bodenarbeit ist: sie muss, um Teil der Pferdeausbildung zu sein, dem selben Roten Faden folgen, sich der selben Elemente und Hilfen bedienen, wie es auch die Arbeit im Sattel tun würde. Das gilt umso mehr, wenn ein Pferd nicht geritten werden kann oder soll, ist doch die Reitpferdeausbildung der alten Meister zuerst einmal darauf ausgelegt, dass das Pferd sich selber tragen lernt, um dann eventuell mit einem Reitergewicht zusätzlich belastet zu werden.
Pluvinel achtet schon beim ersten Longieren darauf, das Pferd in Balance zu bringen...
...bis es sich schließlich zuerst selber auf der Hinterhand tragen kann. Erst dann, im Ausbildungsstand Levade, wird das Pferd mit zusätzlichem Reitergewicht belastet.
Hat man nicht das Ziel " Tragfähigkeit" vor Augen , die für das Pferd der eigentliche Benefit der Arbeit am Boden und ohne Reiter ist, dann kann Bodenarbeit Auswüchse bekommen, die für das Pferd bestenfalls unlogisch, schlimmstenfalls sogar schädlich sind. Würde man solch ein Pferd reiten, würde man schnell den Irrtum in der eigenen Arbeit merken und vom Sattel aus korrigieren können- und im eigenen Interesse auch müssen.
Vor allem bei Pferden, die nicht ( mehr) geritten werden können ist die exakte Arbeit am Boden unbedingt wichtig, weil vom Sattel aus keine
Korrektur erfolgen kann. Die geschähe automatisch, weil ansonsten auch der Reiter nicht balanciert sitzen könnte. Foto: M. Glahe
Bei allem, was wir mit dem Pferd am Boden erarbeiten muss also klar sein:
- Hilfen dürfen sich nicht widersprechen, Hüh ist immer Hüh, Hott immer Hott. Will ich, dass mein Pferd dem gemeinsamen Schwerpunkt unter dem Sattel folgt, muss ich am Boden erklären, dass es der Gerte, dem Schenkel oder dem Zügel weicht. Reiten wird so sicherer für mich, weil das Pferd im Falle von Balanceverlust mich fängt und tragen kann. Auch wenn Pferde aufgrund ihrer Empathie und Intelligenz in der Lage sind, viele Elemente gut zu abstrahieren, sollte man sich bemühen, dem Pferd eindeutige Hilfen zu geben, damit man für das Pferd nicht unberechenbar ist. Wirkt die Gerte als innerer Sitz? Oder innerer Zügel? Oder als äußerer Schenkel, Sitz oder Knie des Menschen? Je größer das Handicap des Pferdes und je intelligenter es ist, desto exakter muss die Hilfe sein, die es unterstützt.
- Das Pferd muss von hinten nach vorne gearbeitet werden, wenn es für das Pferd sinnvoll sein soll. Die Hand des Menschen darf auch in der Boden- oder Handarbeit niemals rückwärts einwirken, das Pferd muss von den treibenden Hilfen geformt werden. Nur so kann das Pferd sich ökonomisch bewegen lernen, wenn es vor Aufgaben wie Arbeit auf der Kreisbahn oder Versammlung gestellt wird.
Das Arbeiten am Kappzaum bei Galiberto ( Klassische alte Reitkunst, 1650) : das Pferd lernt, auf die teibenden Hilfen am durchhängenden Zügel seinen Körper so zu formen, dass es tragfähig wird.
Löhneysen zeigt eine ähnliche Technik. Er hat auch die Lernpsychologie des Pferdes beachtet: das junge Pferd wird nicht von den Artgenossen getrennt, so dass es sich sicher und entspannt fühlen kann.
- Man muss sich stets die Frage stellen: würde man das ganz genau so auch im Sattel können/ wollen? Ein PFerd, das an der Longe in Schräglage "zentrifugiert" wird oder Taktverlust zeigt, Ablegen, Steigen, Rückwärtsrichten als Korrekturmassnahme oder aber ein Treiben in eine höhere Gangart um " Dominanzgefüge" herzustellen- alles das kann man am Boden machen, aber im Sattel kann das durchaus gefährlich werden. Es handelt sich aber immer um das selbe PFerd, dass alles richtig machen will. Es ist hier am Menschen, nicht für Verwirrung zu sorgen, sondern dem Pferd Souveränität in allen Aufgabenstellungen zu vermitteln. Nur dann kann das Pferd vertrauen.
- Der Mensch muss schon am Boden den Fokus darauf legen, sich selber die Bewegungsmuster anzueignen, die er später auch im Sattel braucht, das bedeutet, er muss den Sinn und Unsinn körpersprachlicher Hilfen verstehen und verinnerlichen. Das ist wichtig, damit Bewegen im Sattel nicht neu glernt werden muss: Bodenarbeit wäre ansonsten reine Zeitverschwendung gewesen.
- Es ist nicht das Ziel, dass das Pferd sich mit Hilfen von Bodenarbeit anschließend alles " gefallen läßt" vom Menschen und sich fügt in abstruse Dinge, sondern wenn wir heute mit unserem modernen Gedanken an Tierwohl und Ethik ein Pferd am Boden schulen, darf der Fokus nicht darauf sein, dass das Pferd uns nützlich sein sollte. Es ist NICHT das Ziel der Bodenarbeit, das Pferd " endlich reiten zu können", sondern deswegen reiten zu dürfen, weil genügend Tragkraft vorhanden ist. Reitbarkeit ist kein Ausbildungsziel, Balance hingegen schon!
Die Führposition ist so zu wählen, dass das Pferd möglichst dort Unterstützung erhält, wo es sie benötigt. Dabei muss beachtet werden, wo eine Führpositon verhaltend und wo sie treibend wirkt. Je mehr Handicaps des Pferd hat, desto mehr verschiedene Positionen und Techniken muss der Mensch sich aneignen, um dem Pferd zur Balance zu verhelfen. Ein genaue, kontrollierte Körpersprache ist dabei unabdingbar, das Pferd spiegelt diese. Foto: M. Glahe
- Es geht schon am Boden nicht darum, Lektionen zu erarbeiten, sondern dem Pferd den Inhalt der Lektionen zu erklären. Hier gilt es klug zu wählen: wofür hat mein Pferd eien natürliche Anlage? Worin kann es "glänzen"? Was muss es lernen? Nach diesem Gedanken werden Übungen erarbeitet. Es geht nicht darum, etwas zu können, das in den Augen der Zuschauer gut aussieht, sondern darum, dass es sich für das Pferd gut anfühlt. Es muss zur Erweiterung dr Bewegungskompetenz beitragen und Körperintelligenz schulen. Dazu ist mitunter viel Vorwissen notwendig, dass der Mensch sich aneigenen muss, um für das Pferd sinnvoll von unsinnig zu entscheiden. Uniformität und Vergleichbarkeit haben mit reeller Pferdeausbildung nichts zu tun, die immer das Individuum im Auge haben muss. Jede Art von Kür und Choreographie, die von allen Pferden gleich gekonnt sein muss, ist das genaue Gegenteil dieses so wichtigen Gedankens der Alten Meister.
" Denn es ist gewiss, wer sich unterstehet, ein Pferd ohne Verstand zu treiben und zu schulen, entweder dasselbe um seine edle Arth und Tapfferkeit bringet oder machet , dass es solche Laster an sich nimmt, so hernach nicht zu verbessern sind ." ( Antoine de la Baume Pluvinel, L´instruction du Roy de monter au cheval, 1628)
Das Ziel der Reitpferdeausbildung schon am Boden: ein PFerd mit Bewegungsfreude , dass seinen Körper für sich selber nutzen kann.